Für das Umfeld der Betroffenen, die ein Sternenkind zu betrauern haben
Die Welt steht Kopf
"Für ein Kind, dessen Eltern sterben, stirbt die Vergangenheit.
Für die Eltern, deren Kind stirbt, stirbt die Zukunft."
(abgewandelt von B. Auerbach)
Leider ist es so, dass in der heutigen Zeit der Umgang mit dem Tod verlernt worden ist und er an Natürlichkeit verloren hat. Früher wurden die Toten wie selbstverständlich in der Stube zuhause aufgebahrt, Freunde und Familie kamen, beweinten und betrauerten zusammen den Toten und nahmen so Abschied. So wie zuhause geboren wurde, wurde auch zuhause gestorben. Der Kreis des Lebens schloss sich auf natürliche Art und Weise.
Heute ist es so, dass dieser natürliche Umgang mit dem Tod, der nun mal zum Leben unweigerlich dazu gehört, verloren gegangen ist. Selten sieht man den Toten noch, er verschwindet, wird beerdigt oder eingeäschert ohne den bewussten Prozess des Betrauerns am Totenbett.
Dabei ist doch gerade dieses wortwörtliche "Begreifen" so wichtig, damit die Seele verstehen kann, dass der Mensch nicht mehr da ist. Der Tod gehört nicht mehr selbstverständlich zum Alltag dazu, wir haben daher den Umgang mit ihm verlernt und damit auch den Umgang mit den Trauernden. Heute ist das Umfeld daher häufig recht unbeholfen und unsicher, wenn sie auf einen Hinterbliebenen treffen, es gibt keine Rituale mehr, die Handlungen vorgeben und wegweisend sind.
Wenn Betroffene ihre Trauer nicht mit ihren nächsten Mitmenschen teilen können und das Leben um sie herum weitergeht, als wäre nichts gewesen, fühlen sich Eltern oft einsam. Dies passiert besonders oft beim frühen Verlust ihres ungeborenen Kindes, das noch niemand außer ihnen kennengelernt hat. Kann man selbst die Erfahrung nicht teilen, herrscht oft Unverständnis oder Hilfslosigkeit.
"Was soll ich denn sagen?" - Es gibt nicht den einen "richtigen Satz", viel wichtiger ist eine aufrichtige Anteilnahme und Empathie. Auch geht es nicht darum die Trauer aufzulösen, das ist ohnehin nicht möglich, sondern vielmehr darum Beistand zu leisten, die Gefühle des Gegenüber auszuhalten und einfach da zu sein.
Unverständnis
Für viele Umstehende ist die Trauer der Frau oder des Mannes nicht zu verstehen, weil das verstorbene Kind noch nicht greif- und sichtbar war, eher noch unwirklich, und weil sie die Reaktion nicht nachempfinden können, da sie diese Erfahrung nicht teilen.
Die Eltern, aber insbesondere die Mutter, die das Kind in sich trägt, baut mit dem positiven Schwangerschaftstest eine enge Beziehung zu dem werdenden Kind auf. Es werden Pläne geschmiedet, es wird die Zukunft ausgemalt, man ist voller Vorfreude auf sein Kind.
Neben dieser emotionalen Bindung findet auch eine tiefgreifende hormonelle als auch anatomische Veränderung im weiblichen Körper statt. Wissenschaftliche Studien haben belegt, dass das Gehirn der Frau eine Transformation durchmacht, sich die Strukturen verändern, so dass die Frau ab nun "mütterlich" empfindet und handelt.
Dann stirbt dieses Wesen… Eine Welt bricht zusammen und die Frau trauert mit ganzer Seele und aus vollem Herzen.
Wenn man in dieser Situation auf Unverständnis und wenig Empathie trifft, ist das sehr verletzend für die Frau.
Hilflosigkeit
Das Umfeld empfindet oft Hilflosigkeit angesichts von Gefühlen, mit denen sie nicht gelernt haben umzugehen und von denen sie sich überfordert fühlen.
Taktiken des Umfeld: Vermeidung oder Problemlösungsversuch
Die Folge ist, dass sie den Betroffenen aus dem Weg gehen, das Thema meiden oder versuchen das "Problem", die Trauer, zu beheben, indem sie sie mit unbeholfenen Trostversuchen wie "das Leben muss weitergehen", "besser jetzt als später", "anderen geht es noch schlechter" oder "dein Kind hätte dich nicht so traurig sehen wollen" auflösen wollen.
Betroffene fühlen sich jedoch durch diese unüberlegten Äußerungen oder der Vermeidung meist verletzt und haben das Gefühl, dass ihre Trauer nicht sein darf. Diese Taktiken implizieren, dass die Tragweite nicht verstanden wird, die Frau über reagiert, das Kind unwichtig war und das Geschehene bagatellisiert wird.
Es ist zu beachten, dass sich in so einer sensiblen Situation, in der die Betroffenen besonders dünnhäutig sind, alles in die Seele einbrennt. Langfristige Risse in der Beziehung können die Folge sein.
Dem Kind und der Trauer Wichtigkeit geben
- Eine Schulter zum Anlehen und ein offenes Ohr anbieten. Dadurch fühlen sich Betroffene ernst genommen und dem verlorenen Kind wird eine angemessene Wichtigkeit und Rolle gegeben.
- Sich wiederkehrend nach dem Befinden erkundigen
- die Haltung zeigen, dass alle Gefühle sein dürfen und berechtigt sind. Sie dürfen ihren gewünschten Raum einnehmen und so lange bleiben wie nötig. Das gibt nicht das Umfeld vor, sondern nur die Betroffenen
- um ein "Auf und Ab" der Gefühle wissen, insbesondere an besonderen Tagen wie dem errechneten Entbindungstermin oder dem Todestag ist die Trauer eventuell noch mal besonders spürbar, dies würdigen und mit daran denken
- wenn man unsicher ist, nicht weiß, was man sagen soll, dann sollte man dieses einfach aussprechen "Du, ich weiß gerade gar nicht, was ich sagen soll, alles, was mir so einfällt, klingt so banal, aber du sollst wissen, dass ich da bin! Wenn Du reden möchtest, bin ich da, wenn Du weinen möchtest, weine ich mit, wenn Du etwas brauchst, kümmere ich mich darum, wenn Du Ablenkung möchtest, bin ich da, wenn Du Deine Ruhe möchtest, halte ich mich zurück, aber Du sollst wissen, Du kannst auf mich zählen."
- beim Erinnern helfen
- aktiv helfen, wenn der Alltag nicht gemeistert werden kann (einkaufen, Kinder betreuen o.ä.)
- das Kind beim Namen nennen
Die Welt dreht sich weiter als wäre nichts gewesen
- das Thema nicht mehr ansprechen oder gar das Kind "vergessen"
- Floskeln
- meiden oder flüchten
- ein Ende der Trauerzeit vorgeben
- Trauer als Krankheit sehen
- die Trauer relativieren (s. weiter unten)
Trauer sollte man nicht relativieren
Ich hatte eine Fehlgeburt in der 9. SSW, andere haben eine Totgeburt."
"Die Fehlgeburt war noch so früh bei Dir, bei mir war es in der 28. SSW."
"Du hast ja schon Kinder, kinderlose Paare haben es noch schwerer."
Ja, richtig, es kann immer schlimmer sein. ABER was bringen Betroffenen die Relativierungen und Vergleiche der Situation und Trauer mit anderen Szenarien? Richtig, nichts Gutes. Solche Relationen und übergriffigen Bewertungen reden die empfundene Trauer nur klein, bagatellisieren sie und verursachen bei Betroffenen ein Gefühl des "nicht verstanden werdens" und der Einsamkeit mit den Gefühlen. Aber sicher sorgen sie nicht für Trost und helfen nicht bei der Trauerarbeit.
Die Trauer darf so lange da sein und sich so viel Raum nehmen, wie sie will, wenn sie wie ein ungebetener Gast ins Haus eingezogen ist. Irgendwann geht sie auch wieder und kommt nur ab und zu mal zu Besuch. Und bis dahin muss man von allen Seiten gut zu ihr sein.