"Man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. 
Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes."   (Sigmund Freud)

Es wird nicht wieder wie es war, aber es kann dennoch gut werden- anders gut. 


Die Trauerreaktion 

 

Das psychische Empfinden und Erleben ist grundsätzlich sehr individuell und von den Kontextfaktoren des Ereignisses abhängig, generalisierbare Aussagen über die Tiefe und Schwere der Trauer sind daher schwer zu treffen.  Auch endet die Trauer nicht. Sie bzw. die Erinnerung, die aus der Trauer hervorgeht, bleibt ein Leben lang. 


Die Diagnose eines Schwangerschaftverlustes  erleben viele Frauen als ein traumatisches Ereignis, das dann im ersten Moment zu einer akuten Belastungsreaktion führt. Bei den Symptomen, die nach einer akuten Belastung auftreten können, handelt es sich meist um vorübergehende Erscheinungen als Ausdruck überforderter Bewältigungsmechanismen (Coping) mit erlebter Ohnmacht und Hilflosigkeit. Die Symptome entwickeln sich in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Ereignis. Typisch ist ein gemischtes und wechselhaftes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung, einer begrenzten Amnesie und eingeschränkter Aufmerksamkeit. An dieser Stelle ist es nicht sinnvoll Entscheidung über medizinische Interventionen zu fällen, da mündliche Informationen seitens des medizinischen Personals in diesem Zustand nicht verarbeitet werden können.
Liegt keine medizinische Gefährdungssituation vor, was bei einer Fehlgeburt, Tod des Kindes bzw. dem gewünschten Abbruch bei fetalen Auffälligkeiten jenseits der 24. SSW selten der Fall ist, sollte sich an dieser Stelle die Zeit genommen werden bis man wieder selbstwirksam und autonom sein kann. Dann kann die Entscheidung darüber getroffen werden wie es weiter gehen soll. Das Gefühl, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, ist wichtig um Traumata vorzubeugen. 
 

Nach einer Phase des Schocks folgt dann das langsame Realisieren der Geschehenen und ambivalenten, starke Emotionen wie Trauer, Wut, Schuld, Scham, Ohnmacht, Verzweiflung, Leere, Sehnsucht, Taubheitsgefühl und Verzweiflung treten zutage.   

Die Frau oszilliert zwischen der Verarbeitung des Verlustes und der Wiederherstellung eines veränderten Alltags und der eigenen Identität (nach Schut und Strobe "duales System").  

Das Urvertrauen und das Bedürfnis nach Sicherheit, Bindung sowie Kontrolle ist erschüttert und das kann zu Ängsten führen.  

Viele isolieren sich in der Zeit oder gehen ihrem Hobby nicht mehr nach, womit wertvolle Ressourcen der Kraft verloren gehen. 

Sowohl der Partner/die Partnerin als auch das soziale Umfeld wirken in dieser Zeit der Neuorientierung entweder als hilfreiche Stütze oder es kommt zu Diskrepanzen und damit einer Veränderung der sozialen Beziehungen. Trauerrituale und Orte der Erinnerung helfen der Frau sich in dieser Phase zu verabschieden, lassen sie wieder handlungsfähig werden, geben Halt und lassen sie sich dem Kind nah fühlen, wenn der Wunsch danach da ist. 
Trauer ist nichts krankhaftes, was beseitigt werden muss. Sie ist da und es gilt sie anzunehmen, auszuhalten, auch wenn es weh tut und Verdrängung einfacher wäre. Man trauert häufig nicht nur um das Kind, sondern auch um alle Wünsche, Hoffnungen und Zukunftspläne, die nun erstmal zunichte sind. Gefühle wie Hilflosigkeit, Gefühlslosigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Unruhe können alles Ausdruck der Trauer sein. Mit viel Zeit, Geduld und Hilfe von außen kann die Seele mit einer verbleibenden Narbe abheilen.

Es sollte berücksichtigt werden, dass es auf diesem Weg immer wieder zu Rückfällen in die Trauer kommen kann, da der Verlauf nicht linear ist und keinem Schema folgt, sondern ein individueller, dynamischer, heterogener Prozess mit unterschiedlicher Dauer ist. Zu speziellen Anlässen, wie z.B. dem errechneten Entbindungstermin, Feiertagen, beim Anblick von Schwangeren, kann ist daher immer wieder zu einem erneut verstärkten Gefühl der Trauer kommen und die Narbe auf dem Herzen wird berührt.

Am Ende dieses Trauerprozesses kommt es dann gewöhnlich und im besten Fall dazu, dass die Frau den Verlust in ihre Biografie integriert, als Schicksalsschlag akzeptiert und einordnet und sich neu orientiert hat. Manche geben dem Verlust auch eine Sinnhaftigkeit und verändern ihr Leben, weil sie das Erlebte ins Grübeln gebracht hat. Es kann also auch einen Umbruch bedeuten. 

Der beschriebene Weg zeigt den eines herkömmlichen Trauerprozesses auf. Jedoch können verschiedene Umstände dazu führen, dass die Trauer kompliziert und pathologisch wird. Bisher ist nicht bekannt wie hoch der Anteil der Frauen ist, die mit Trauer ausreichend zurechtkommen, und wie hoch der Prozentsatz ist, der eine langanhaltende Trauerstörung oder andere langfristige psychische Störung wie Depression oder posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Die Vielfalt der Trauerprozesse erschwert zudem eine Abgrenzung normaler und pathologischer Trauerverläufe. Aktuell fehlen noch die notwendigen Screeninginstrumente, um frühzeitig eine normale Trauerreaktion mit den dargestellten, vorübergehenden Symptomen wie Ängste, Depression und PTBS von manifestierten, psychischen Erkrankungen abzugrenzen. 

Faktoren wie die eigene Resilienz sowie psychische Vorerkrankungen, mangelnde oder fehlende soziale Ressourcen, eine ungewollte Kinderlosigkeit, Gefühle von Schuld und Scham, Partnerlosigkeit, soziale Isolation, ein niedriges Bildungsniveau, Ambivalenz gegenüber der Schwangerschaft, Abbruch bei fetalem Auffälligkeiten sowie früheren Aborte gelten als Risikofaktoren, um die Trauersymptomatik persistieren zu lassen und den Trauerprozess zu verkomplizieren. Die Trauer dominiert das individuelle Leben dann über einen längeren Zeitraum. Dieses sollte im Blick behalten werden. Anzeichen hierfür können sein: ein immer wiederkehrendes Fragen nach dem Warum, quälende Schuldgefühle, Isolation vom sozialen Umfeld, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen. In diesem Fall sollte eine Fachperson hinzugezogen werden. 


Die Trauerarbeit und die Trauerbegleitung

Die Trauer ist kein passiver oder stillstehender Zustand, sondern ein Prozess, den man durchlebt, der sich verändert und in dem man vor verschiedene Aufgaben gestellt wird, die es zu "bearbeiten" gilt. Oft ist daher auch von „Trauerarbeit“ die Rede. 
Eindruck wie Trauer und Freude braucht Ausdruck in Form von Bewegung, Wort oder Bewegung. Jede*r Trauernde muss schauen, was für sie/ihn der passende Kanal ist, um die Gefühle nach außen abzuführen, auch wenn der Mensch eine gewissen Scheu oder gar Angst vor dem Empfinden und Erleben dieser "negativen" Gefühlen hat. 
Dauerhafte Unterdrückung ist der denkbar schlechteste Weg, den man wählen kann. Die starken Gefühle wollen angenommen und gesehen werden, anderenfalls suchen sich sich einen anderen Weg, um an die Oberfläche zu kommen. Das kann sich in psychosomatischen Beschwerden, Aggression, emotionaler Taubheit, Sucht oder ähnlichem äußern. 

Oft zieht man sich in der Trauer eine Weile zurück und isoliert sich.  Man lebt dann für eine Zeit wie in einem Kokon bis man so weit ist wieder die Fühler nach draußen zu strecken. Das kleine Mikrouniversum reicht für eine gewisse Zeit und irgendwann hat man Lust auf mehr "Leben". 
Eine Trauerbegleitung oder angeleitete Trauergruppe kann ein guter Rahmen sein, um sich seiner Trauer zuzuwenden, insbesondere dann wenn man keine passenden Ansprechpartner im sozialen Umfeld hat, denen man sich anvertrauen möchte.  
Trauerbegleitung heisst, den/die Trauernde/n dabei zu unterstützen eine akute Trauersituation gut zu bewältigen und zu einer tragfähigen Anpassung an die veränderte Situation zu kommen.  Die Aufgaben bestehen dabei darin, dem/der Trauernden zu helfen, den Verlust zu realisieren,  seine/ihre Gefühle zu benennen und zuzulassen,  der Trauer Zeit und Raum zu geben, Psychoedukation zu vermitteln, gemeinsam neue Wege des Weiterlebens und Perspektiven zu formulieren, Erinnerungen zu schaffen und, wenn nötig, die Abgrenzung eines  normalen Trauerprozesses von einem pathologischen und dann ggf. die Weitervermittlung an andere Fachleute. Dabei kommen verschiedene Methoden zum Einsatz. 

Das Trauermodell in Anlehnung an William J. Worden

In der Trauer kommen laut Worden folgende Aufgaben auf den Trauernden zu:

1. die Wirklichkeit des Verlustes begreifen und als Realität akzeptieren   

Tod vermittelt oft das Gefühl von Unwirklichkeit.

Um trauern zu können, ist es nötig den Verlust zu realisieren und schlussendlich als unabänderliche Tatsache zu akzeptieren.
Eine körperlich durchlebte Verabschiedung durch eine Geburt und das wortwörtliche "Begreifen" des toten Kindes kann ein erster Schritt sein. Die Beerdigung ein zweiter Schritt in Richtung des Begreifens, was passiert ist.

Die quälende Frage nach dem "Warum" oder Schuldgefühle stehen einem da oft im Wege und hindert an der Akzeptanz des Schicksals. Dieses Dinge sind wie ständiges Kratzen an einer heilen wollenden Wunde.

Es wird immer wieder Zeitpunkte des erneuten, schmerzhaften Begreifens geben wie z.b. den errechneten Entbindungstermin, ein Babybauch, Werbung im TV für Windeln, der Schwangerschaftsnewsletter im Postfach, den man vergessen hat abzubestellen.
In diesen Situationen ist die Trauer wieder voll im Bewusstsein und mit aller Intensität da, obwohl man dachte "drüber weg zu sein". Und das ist okay. Das sind Momente des schmerzlichen Vermissens und der Sehnsucht, die uns an das Verlorene erinnern lassen.
Und man wird sich mit der Zeit an diesen Schmerz gewöhnen und er wird dadurch von mal zu mal erträglicher.
Trauer wird dann zu Momenten des liebevollen Erinnerns.


2. die Vielfalt der Gefühle und den Schmerz durchleben und verarbeiten; Eindruck braucht Ausdruck.

Genauso wie wir vor Freude lachen, müssen wir auch vor Trauer weinen. Wenn wir diesen Gefühlen keinen Ausdruck geben würden, würden wir platzen.

Jeder kennt das Gefühl sich lachen verkneifen zu müssen. Was passiert? Irgendwann prustet man los. Man platzt förmlich.

So ist es auch bei Trauer.
So viele Gefühle... von Wut, Schuld, Scham, Verzweiflung, Ohnmacht, Leere, Rastlosigkeit ist alles dabei.

Diese müssen von Innen nach Aussen transportiert werden. Passiert das nicht, kann eine hochexplosive Mischung entstehen oder innerliches Verfaulen.

Der Ausdruck kann durch Worte, geschrieben oder gesprochen, Weinen, Schreien, durch Aktivität in Bewegung, Kunst, Musik erfolgen, je nachdem, was zu einem passt.

Wichtig ist, dass man die Gefühle sieht, anerkennt und kanalisiert.

3. die Fähigkeit, die mit dem Verlust einhergehenden Veränderungen in einem selbst als auch der Umwelt zu leben  

Wer kennt es als Betroffene/Betroffener nicht?

Vieles ändert sich auch um einen herum.

Freundschaften bewähren oder trennen sich, weil die Freundin oder den Freund in einer schweren Stunde an der Seite war oder eben nicht.

Die Partnerschaft wird oftmals auf eine Belastungsprobe gestellt, weil der Partner in vielen Fällen anders mit dem Verlust umgeht als man selber.

Auch in der Familie stößt man womöglich auf Unverständnis, was auch hier dann zu Problemen führen kann.

Aber nicht nur die Beziehung zum sozialen Umfeld verändert sich oft.

Man glaubt in der Trauer ja häufig verrückt zu werden und tatsächlich wird man ver"rückt".
Das Selbst wird oft ein anderes, man hat vielleicht das Gefühl nicht mehr die Alte/der Alte zu sein.

Mit dem Verlust muss man also nicht nur die Veränderung im Inneren, sondern auch im Äußeren annehmen und sich in den neuen Verhältnissen orientieren, was zugleich auch nochmal sehr herausfordernd und mit viel Enttäuschung verbunden sein kann.

4. die Verortung des verlorenen Kindes  

Es ist für den/ die Hinterbliebene/n wichtig, dem Verstorbenen einen Platz zu geben, an dem er sein darf und an dem man weiter mit ihm verbunden sein kann, wenn man das Bedürfnis hat.

Das kann die Grabstelle (stellvertretend oder tatsächlich), eine Gedenkecke, eine Erinnerunsgkiste, eine Tattöwierung, ein selbstgemaltes Bild oder ein Stern am Himmel sein- es kann ein sichtbarer oder unsichtbarer Ort sein.
Entscheidend ist, dass das verlorene Kind nicht den ganzen (Lebens)Raum einnimmt und so das eigene Weiterleben beeinträchtigt und blockiert.

Wenn man dem Kind/dem Toten/ der Toten dann nah sein möchte, begibt man sich zu diesem Ort, und geht dann auch wieder, um sein verändertes Leben weiter zu leben.


5. das weiter-"Funktionieren" in der Trauer, um die Strukturen und den Alltag aufrecht zu erhalten 

Klingt so banal, ist aber tatsächlich eine grosse Herausforderung.

Am liebsten im Bett mit über den Kopf gezogener Decke, zu schwach und traurig um zu Essen und zu Trinken, das permanente Gedankenkarussell hindert am Schlafen, die Bewältigung eines Leben mit den essenziellen Dingen wird zur kaum überwindbaren Aufgabe.

Dabei ist es gerade in der Trauer so wichtig gut milde mit der eigenen Person zu sein. Schöne Dinge, von denen man weiß, dass sie einem gut tun, sollten versucht werden immer wieder in das Leben zu integrieren. Das kann eine Massage sein, bei der man den Körper mal wieder spürt, oder ein Kinobesuch mit der Freundin, um mal kurzzeitig die Gedanken zu beruhigen.

Versuch wie eine gute Freundin für Dich zu sein, die an Deiner Seite und für Dich da ist in einer schweren Zeit. 

"Mein Partner/meine Partnerin trauert weniger als ich um das Sternenkind"

Das ist ein Satz, der so immer wieder von Frauen geäußert wird. 
Tatsächlich bestätigen einige Studien das unterschiedliche Trauerniveau der Schwangeren und des Partner/der Partnerin (1,2). Die Studien besagen, dass diese zwar auch Anzeichen von Ängsten, Depression und Trauer haben, aber in signifikant niedrigerem Ausmaß. Frauen fühlen sich dann in ihrer Trauer alleine und unverstanden. Auch kann es zu Wut kommen,  dass der Partner gefühlt oder in der Tat weniger trauert, und so nach mütterlichem Empfinden Verrat an dem Kind begeht.

In Tuckers Buch (3) werden zudem einige wissenschaftliche Aspekte aufgeführt, die verdeutlichen, dass neben der frühen emotionalen Bindung auch körperliche Veränderungen der Schwangeren dafür sorgen, dass die Mutter mit der Befruchtung des Eis so "umprogrammiert" wird, dass sie sich mit vollem Einsatz um dieses Kind nach der Geburt kümmert. Die Natur hat es evolutionsbedingt ganz geschickt eingerichtet, dass das Überleben des Kindes durch seine Mutter gesichert ist. Eine Mutter baut zu ihrem Kind in der Regel von dem Augenblick an eine Beziehung auf, da sie von ihm weiß, und schützt es. 

Jedoch ist es natürlich auch immer eine Charaktersache wie emotional, wie intensiv und mit welchem Ausdruck jemand trauert. Der oder die eine trauert sehr tief und lebt diese Gefühle aus, der oder die andere ist eher der verdrängende oder der sachliche und rationale Typ. Auch in Beziehungen wird es immer jemanden geben, der emotionaler als der andere trauert, aber damit nicht zwingend mehr, nur eben anders. 

Auch gibt es Männer, die in Krisenzeiten ihrer Partnerin die starke Schulter bieten und Stärke zeigen wollen, indem sie die vermeintlich schwache Gefühle nicht zeigen. Diese Gefühle sind dann zwar da, schlummern aber hinter einer "harten" Fassade.

So oder so sind Schicksalsschläge immer eine Belastungsprobe, sowohl für Partnerschaften als andere soziale Beziehungen wie Freundschaften. Bei manchen klaffen Risse zu unüberwindbaren Schluchten auf und bei anderen verbinden sie noch mehr. Wichtig ist es im Gespräch zu bleiben und die qualitative und quantitative Andersartigkeit der Trauer zu akzeptieren, um einen partnerschaftlichen Weg in dieser schweren Zeit zu finden.  


1. Farren et al. (2021): the psychological Impact of early pregnancy loss
2. Volgsten et al. (2018): longitudinal study of emotional experiences, grief and depressive symtoms in women und men after miscarriage
3. Abigail Tucker: Was es bedeutet, eine Mutter zu werden (Buch)

Das Meer der Tränen

 

Es zieht ein gewaltiger Sturm auf, der Himmel wird schwarz, der Wind fängt an zu tosen und peitscht die See auf. Die Wellen schlagen einem über dem Kopf zusammen und man droht unter zu gehen. Man kann kaum den Kopf über Wasser halten, man ist in Panik, verzweifelt, außer sich vor Angst, weiß nicht, ob man das übersteht. Die Wellen kommen aus allen Richtungen, völlig unkontrolliert, sind meterhoch und drücken einen immer wieder unter Wasser.

Irgendwann lässt der Sturm etwas nach, die See beruhigt sich. Man kommt wieder zu Atem, kann etwas ausruhen, die Orientierung gewinnen. Es kommen immer noch Wellen, aber diese sind absehbar und nicht mehr so unkontrolliert von allen Seiten.

Irgendwann werden die Abstände der Wellenberge größer, die Wellenkämme kleiner. Die See wird ruhiger. Es kann immer mal wieder ein Sturm aufziehen, aber man ist vorgewarnt.

Die Trauer oder mindestens Schatten davon werden einen das ganze Leben lang begleiten. An diesen Begleiter, der mal mehr, mal weniger leise ist, wird man sich  gewöhnen und ihn als gegeben und zum jetzigen Leben dazugehörend annehmen müssen.

Und es wird immer mal wieder Phasen geben, wie etwa der Entbindungstermin, Weihnachten oder der Todestag, an denen man wieder trauriger ist. Aber die Phasen, in denen es nicht mehr so tief innen schmerzt, werden weniger und besser auszuhalten. Die Sehnsucht wird ewig anhalten und auch wird man nicht vergessen. Das heißt es als permanente Narbe zu akzeptieren. Die Trauer wird aber irgendwann nicht mehr das Leben bestimmen und so viel Raum einnehmen.

Die See wird ruhiger- irgendwann… 

Das Trauerkind

Der Moment, an dem wir unser Kind gehen lassen mussten, ist der Moment der Geburt unserer Trauer.
Und wie ein Neugeborenes verhält sie sich auch. Sie füllt unser ganzes Wesen aus, unseren ganzen Tag, unser ganzes Dasein. Wie ein Säugling den ganzen Tag von uns getragen wird, tragen wir die Trauer 24 Stunden. Wir spüren ihr Gewicht körperlich in Form von Schmerz. Die Trauer liegt auf unserer Brust, nimmt uns die Luft zum Atmen, und trinkt unsere Energie. Es gibt nichts Anderes in dieser ersten Zeit, nur den Schmerz, die Kraftlosigkeit, die Trauer.

Aber ein Säugling entwickelt sich, zunächst unmerklich, dann mit kleinen Sprüngen. Plötzlich kann es von der Mutter wegrobben, eigenes Terrain entdecken. Es wird nicht mehr 24 Stunden an der Brust getragen, will das auch nicht. Es braucht noch immer sehr viel Körperkontakt, aber auch Freiraum. Und irgendwann schläft es zum ersten Mal durch.
Und unsere Trauer: Verblüfft stellen wir fest, daß wir die Trauer zwar noch ständig spüren, daß der körperliche Schmerz aber Pausen macht. Pausen, an denen man zwar noch sehr intensiv trauert, aber wieder atmen kann. Die Lebensenergie wird nicht mehr unendlich abgezogen, Kleinigkeiten des Alltags sind uns wieder möglich. 

Dann kommt das Kind in den Kindergarten. Am Anfang macht sich die Mutter große Sorgen, denkt ununterbrochen an ihr Kind. Manche Kinder fällt der Übergang leicht, andere klammern.  Und nach dem Kindergarten kommt das Kind in die Arme der Mutter geflogen, holt sich die Geborgenheit die es braucht, und will erzählen. Mit der Zeit gewöhnen sich beide an die Zeit der Trennung und freuen sich, wenn sie sich wiedersehen.
Genauso ist es mit unserer Trauer. Nicht einschneidend, aber schleichend, gibt es Momente, in denen wir die Trauer nicht spüren, in denen wir vielleicht über Witze lachen können, oder aufmerksam einen Film ansehen können, ohne ständig an unseren Verlust zu denken. Und der Schmerz kommt dann auch zurück, genauso heftig wie man es schon gewöhnt ist.

Dann kommt das Kind in die Pubertät, lehnt sich gegen die Eltern auf, es gibt Zoff. Die Liebe der Mutter wird ausgetestet, aber sie ist immer noch da, auch die Beziehung auf eine Probe gestellt wird.
Und unser Trauerkind: Jetzt passiert es zum ersten Mal, daß wir z.B. einen Kinderwagen ansehen, hineinschauen und das Baby bewundern, wartend auf das so bekannte Gefühl des Schmerzes und des Neids- und es kommt nicht. Wenn das zum ersten Mal passiert, erschrecken wir uns wahrscheinlich, denken "Ich liebe mein Baby nicht mehr. Ich spüre den Schmerz nicht. Was bin ich für eine Rabenmutter". Aber die Trauer will nicht mehr "abrufbar" sein. Will einfach nicht mehr irgendwelchen Ritualen und Signalen gehorchen, will kommen und gehen, wann es ihr passt. 

Manchmal bekommt das Kind ein Geschwisterchen. Es ist eifersüchtig, weil das neue "Neugeborene" mehr Zeit und körperliche Nähe beansprucht, fühlt sich vom Thron gestoßen und fällt in alte Babygewohnheiten zurück.
So kann es auch unserem Trauerkind gehen, wenn ein Folgekind kommt. Schon in der Schwangerschaft stellt sich oft eine Trauer ein, um das, was war und was hätte sein können. Diesmal aber verbunden mit Angst. Und ist das Folgebaby erst einmal da, spüren wir den stillen Vorwurf unseres Trauerkindes "Und ich? Für mich hast Du keine Zeit mehr, liebst Du mich nicht mehr?", und wir bekommen ein schlechtes Gewissen.
Irgendwann hat sich aber alles eingespielt. Das Trauerkind merkt, daß es nicht vergessen ist. Auch das Folgekind lernt, daß noch ein Geschwisterkind die Liebe seiner Eltern beansprucht. Es wird zum Grab mitgenommen und wenn es älter wird, werden ihm Fotos gezeigt und es wird ihm erklärt, was passiert ist. So wie Geschwister ganz selbstverständlich miteinander groß werden, lernt auch das Folgekind, daß das Sternenkind das Trauerkind bei seinen Eltern gelassen hat, an seiner statt. 

Dann irgendwann ist das Kind erwachsen, verlässt das Elternhaus. Nach einer Eingewöhnungszeit fängt die Mutter an, ihr Leben wieder ganz so zu leben, wie sie es möchte. Sie liebt ihr Kind, aber es ist aus dem Haus. Und jedes Kind ist anders. Einige rufen ihre Mutter 2x die Woche an, einige lassen sich noch eine Weile die Wäsche waschen und sie sehen sich häufig, wieder andere melden sich nur zu Weihnachten und Neujahr. 

Und die Trauer. Auch die zieht irgendwann vielleicht aus, nur das warme Gefühl der Liebe zu diesem Kind bleibt. Es gibt gelegentliche Gefühle, die an den alten Schmerz erinnern, aber doch ganz anders sind. Die Trauer hat sich gewandelt und wird zu liebevollem Erinnern. Und das eigene Leben nach dem Verlust ist nicht mehr das alte, aber es kann dennoch gut sein-anders gut.

abgewandelt von Sabine Mecki 


Neid und Eifersucht

 Neid... Eifersucht... Gesellschaftlich negativ belegte Gefühle, die aber nach einer Fehlgeburt jede Frau erlebt. Ja, ich behaupte, dass diese Gefühle wirklich JEDE Frau spürt und sich häufig dafür schämt, weil es eben Gefühle sind, die man nicht haben "darf", aber doch sehr menschlich sind. Eine Frau nach einer Fehlgeburt kann zum Beispiel keine schwangeren Frauen mehr ertragen, oder sie meidet ihre eigentlich beste Freundin, weil diese schwanger ist.
Darüber zu reden trauen sich jedoch die wenigsten, da es tabuisierte Gefühle sind, für die sie sich schämen und die sie vermeintlich zu einem schlechten Menschen machen.

Dabei sind sie völlig normal und sie ergreifen jede Frau, die einen Verlust erlebt hat und sich nun nichts sehnlicher wünscht als auch ein Kind im Bauch wie die Frau, die gerade über die Straße geht. Dadurch ist diese Frau auch nicht weniger schwanger, es bedeutet auch nicht, dass man es ihr missgönnt, man wünscht es sich lediglich auch sehnlichst und kann die Trauer und Sehnsucht kaum ertragen, wenn man mit Schwangeren konfrontiert wird, die einem wortwörtlich vor Augen führen, was man verloren hat. 


 Entrechtete Trauer

Viele Frauen nach einer Fehlgeburt hören vom Umfeld Aussagen wie "Es hätte noch schlimmer kommen können" oder "Wenigstens war es noch früh in der Schwangerschaft".

Kennst Du das? Hast Du Dich danach noch schlechter gefühlt?

Wenn ja, dann erlebtest Du "entrechtete Trauer".

Dr. Doka prägte den Begriff in dem 1980er Jahren. Es ist eine Trauer, die Menschen erleben nach einem Verlust, der nicht offen anerkannt, öffentlich betrauert oder gesellschaftlich unterstützt wird.

Deine Trauer wird von anderen nicht anerkannt und unterstützt, sondern herabgewürdigt und bagatellisiert, was den Trauerprozess verlängert und intensiviert.

Wichtig ist nun den Verlust für sich selbst anzuerkennen und sich selber die Trauer zu zu gestehen. Spüre und erlaube Dir Deine Gefühle. Kanalisiere diese beim Sport, schreiben, beim Austausch mit Leidensgenossinnen oder kreativer Arbeit. Und vor allem sei gut zu Dir! 

Trauer sollten weder man selber noch andere relativieren  oder anders: "Darf man auch nach einem Verlust in der frühen Woche traurig sein?"

 Ich hatte eine Fehlgeburt in der 9. SSW, andere haben eine Totgeburt."
"Die Fehlgeburt war noch so früh bei Dir, bei mir war es in der 28. SSW."
"Du hast ja schon Kinder, kinderlose Paare haben es noch schwerer."

Ja, richtig, es kann immer schlimmer sein. ABER was bringen Betroffenen die Relativierungen und Vergleiche der Situation und Trauer mit anderen Szenarien? Richtig, nichts Gutes. Solche Relationen und übergriffigen Bewertungen reden die empfundene Trauer nur klein, bagatellisieren sie und verursachen bei Betroffenen ein Gefühl des "nicht verstanden werden" und der Einsamkeit mit den Gefühlen. Aber sicher sorgen sie nicht für Trost und helfen nicht bei der Trauerarbeit.

 Auch steigt das Ausmaß der Trauer nicht proportional zur Größe des Kindes und ist einfach auch total individuell. Man trauert um so vieles, die verlorene Zukunft, die Träume und die Vorstellung, die man unweigerlich sofort im Sinn hat sobald man von dem Kind erfährt. Es muss also nicht ein Verlust der Schwangerschaft im fortgeschrittenen Stadium sein, damit man traurig sein "darf". Die Größe des Kindes ist weniger physisch als vielmehr psychisch für die Frauen zu spüren.

 
Daher sollte man als Trauernde/r auch selber keine Vergleiche zu anderen anstellen. Man ist aus einem für sich selber guten Grund traurig. Die Trauer ist so groß wie sie empfunden wird und niemand, auch man selber nicht, sollte dieses Gefühl klein reden oder als unzulässig einstufen. 


Die Trauer darf so lange da sein und sich so viel Raum nehmen, wie sie will, wenn sie wie ein ungebetener Gast ins Haus eingezogen ist. Irgendwann geht sie auch wieder und kommt nur ab und zu mal zu Besuch. Und bis dahin muss man gut zu ihr sein. 

Ist die Trauer bei einem "kleinen" Kind auch kleiner?

 Totgeburt 39.SSW des 4. Kindes - sie hat ja schon 3?

Fehlgeburt 6. SSW bei niedrigem AMH- warum so lange gewartet?

Fehlgeburt 9.SSW nach 4 Jahren und der 3. ICSI- war ja noch früh?

Spätabbruch 23.SSW bei erwarteter geistiger Beeinträchtigung- selbst schuld?

Wer darf in diesen Beispielen am traurigsten sein und wer soll sich nicht so anstellen?

Wer darf und kann die "erlaubte" und angemessene Trauer der/des anderen beurteilen?

Ich denke, dass man Trauer und ihr Empfinden nicht relativieren sowie vergleichen sollte. Jede/r Betroffene hat andere physische und psychische Voraussetzungen, die ihn/sie individuellmit ihr umgehen lassen. Alleine die Schwangerschaftswoche ist kein Prädikator für das Ausmaß des Gefühls.
Trauer hat für mich als Trauerbegleiterin immer ihre Berechtigung und bedarf keiner Rechtfertigung.